Das Bochumer O-Werk
Damals Kadett, heute Kirche. Das ehemalige Bochumer Opelwerk I als Ort innovativer Kirchenentwicklung
Von Björn Szymanowski
Das Opelwerk – ein flüchtiger Segen für Bochum
Wir schreiben das Jahr 1963. Nach rund drei Jahren Bauzeit läuft im Adam Opel AG Werk Bochum I endlich der erste Opel Kadett vom Band. Dass die Opel Automobile GmbH (damals Adam Opel AG) in Bochum gleich drei Werke errichtet, ist für die Stadt und ihre Umgebung ein Segen. In Hochzeiten entwickeln, schweißen, lackieren, verbauen und montieren dort rund 20.000 Opelaner*innen immer mehr Opel-Modelle: Neben dem Kadett machen bald auch Mantas, Asconas, Astras und Zafiras aus Bochumer Produktion mobil.
Doch der Segen ist nur von begrenzter Dauer. Es sind unter anderem Prozesse der Automatisierung des Produktionsvorgangs, sinkende Absatzzahlen und nicht zuletzt die Finanzkrise 2008, die zu erheblichen Sparmaßnahmen und einem sukzessiven Stellenabbau führen. 2013 dann der Paukenschlag. Das Werk I wird stillgelegt. Am 5. Dezember 2014 – 27 Minuten nach Mitternacht – verlässt der letzte Wagen, ein Opel Zafira, das Fertigungsband. 2015 endet mit der Schließung des Werks I ein halbes Jahrhundert Industriegeschichte. Was bleibt, sind lediglich zwei Komponentenwerke in Langendreer. Die Kritik an der Konzernmutter General Motors (GM) ist groß. Die Stilllegung des Opelwerks ist ein herber Schlag für das ohnehin gebeutelte Bochum. Nur sieben Jahre zuvor hat der Telekommunikationskonzern Nokia seine Handy-Produktion in Bochum eingestellt.
Ein Ort, der sich immer wieder neu erfinden muss
Trotz aller politischen und vor allem persönlichen Dramatik der Werksschließung ist der Standort des ehemaligen Opelwerks ein inspirierendes Beispiel für ruhrgebietstypische Anpassungsfähigkeit. Auf gut ruhrdeutsch heißt das: „Getz hömma auf am knöttern! Geh auffe Maloche und klamüser dat erstma aussenanda!“ (Ganz frei übersetzt: Jetzt hör mal auf zu meckern. Mach dich an die Arbeit und lös das Problem!) Denn das Opelwerk selbst entstand auf dem stillgelegten Betriebsgelände einer Schachtanlage des ehemaligen Steinkohlebergwerks Zeche Dannenbaum. Heute steht dort nur noch das backsteinrote Verwaltungsgebäude des Werks. Ansonsten sind alle Spuren der Montan- und Automobilindustrie verschwunden. Und dennoch: Das vormalige Betriebsgelände ist ein Ort, der sich auch gegenwärtig neu erfindet. Seitdem die Bochum Perspektive GmbH das knapp 70 Hektar große Areal 2015 erworben hat, wird kräftig gebaut. Unter dem Projekttitel „MARK 51°7“ entsteht dort aktuell ein ganzes Innovationsquartier für moderne Unternehmen und technologieorientierte Forschungseinrichtungen.
Ein Ort, an dem Kirchenentwicklung Fahrt aufnimmt
Im Herzen dieses Bochumer Technologie-Hubs hat ein Institut seinen Sitz, das man dort vermutlich zunächst gar nicht erwartet. In der ersten Etage des ikonischen Backsteingebäudes, das mittlerweile O-Werk getauft worden ist, liegen die Büros des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (kurz: zap), ein Institut der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Wo damals über Innovationen der Automobilität nachgedacht wurde, erforscht und erprobt heute ein interdisziplinäres Team junger Wissenschaftler*innen, was Kirche jetzt braucht, um auch morgen eine Ressource für eine innovative Gesellschaft sein zu können. Das erfordert nicht nur von Kirche, sondern auch am zap eine ganze Menge geistige Mobilität.
Da hilft ab und an der Blick auf die Geschichte des O-Werks. In ihr verdichtet sich, was für das Ruhrgebiet und das Ruhrbistum so unverwechselbar ist: eine Haltung, sich von der Erinnerung an Vergangenes herausfordern, aber nicht lähmen zu lassen; der Weitblick, sich von der Hoffnung auf eine gute Zukunft inspirieren, aber nicht blenden zu lassen; und ein Stil, bei dem auf Entscheiden nicht zögern, sondern anpacken folgt. Das ehemalige Opelwerk ist darum nicht nur aus Größenmaßstäben ein Erinnerungsobjekt der Superlative. Es ist ein Ort voller Energie und Innovationskraft, der ständig neues Erinnerungswertes produziert. Erinnerung und Fortschritt, der Blick zurück und nach vorne, geben sich im O-Werk die Hand. Das Nachdenken über Glaube und Kirche kann hier – auf den Spuren des Kadetts – richtig Fahrt aufnehmen.